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Interview mit Bürgermeister Eric Leiderer über digitale Dienste und neue Arbeitsweisen

Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet sich der Staat dazu, bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen für die Bürger*innen auch digital anzubieten. Ist das in Aschaffenburg bis Ende des Jahres zu schaffen?

Da sich Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam dazu verpflichtet haben, ihre Leistungen für euch zu digitalisieren, können wir in Aschaffenburg nur einen Beitrag zur Erreichung dieses Zieles leisten. Ich bin jedenfalls stolz darauf, dass unsere Stadt zu den führenden Kommunen in Bayern gehört. Das ist ein toller Erfolg des gesamten Teams, das sich um die Verwaltungsdigitalisierung kümmert – und der Fachämter, die den Prozess unterstützen.

Wo steht die Stadt aktuell?

Bereits jetzt bieten wir 100 Verwaltungsleistungen digital an. Gemeinsam mit allen Mitarbeitenden arbeiten wir auf Hochtouren, damit bis Ende des Jahres weitere wichtige Online-Dienste folgen, wie zum Beispiel die Beantragung des Führerscheins und des Aufenthaltstitels.

Viele sehen den Föderalismus als Digitalisierungsbremse. Sie auch?

Im Vergleich zu anderen Ländern in Europa macht es uns der Föderalismus nicht einfacher. Wir haben dadurch in Deutschland eine hohe Komplexität der Strukturen. Neben Bund, Ländern und Kommunen gibt es auch noch verschiedene föderal organisierte Digitalisierungsgremien. Auf der Bundesebene befassen sich zudem fast alle Bundesministerien mehr oder weniger eigenständig mit der Digitalisierung. Diese Perspektive ist wichtig, wenn man verstehen möchte, warum wir in Aschaffenburg noch nicht dort sind, wo wir gerne wären. Als Verwaltung können wir unseren Beitrag leisten, sind aber abhängig von Vorgaben und Leistungen auf Landes- und Bundesebene. Dort wird oft viel Theorie gepredigt ohne echtes Verständnis für die Herausforderungen und die Komplexität der praktischen Umsetzung vor Ort in der Kommune. Gleichzeitig sehen wir auch, dass viele Akteure auf allen Ebenen verstärkt an Zusammenarbeit interessiert sind. Das ist die richtige Richtung!

Die Digitalisierung muss vom Verwaltungspersonal umgesetzt werden. Sind die Beschäftigten auf den digitalen und arbeitskulturellen Wandel ausreichend vorbereitet?

Wandel ist nur möglich, wenn wir die Mitarbeitenden mitnehmen und an dem Prozess beteiligen, damit durch den Wandel auch die Arbeitsplätze attraktiver gestaltet werden. Neben der digitalen Technik brauchen wir dafür auch eine Aus- und Weiterbildungsinitiative, um die für den digitalen Wandel notwendigen Kompetenzen der Mitarbeitenden der Stadtverwaltung weiterzuentwickeln und zu stärken. Denn es ist klar: Die Digitalisierung verändert die Arbeitsweisen der Stadtverwaltung und verstärkt die Anforderungen an die gesamte Belegschaft. Sowohl von Fach- als auch von Führungskräften werden neue Fähigkeiten und Verhaltensweisen verlangt. Aber das ist nicht alles.

Was ist dann „alles“?

Nur die Mitarbeitenden schulen und bei Einstellungen darauf achten, dass die neuen Kolleginnen und Kollegen die notwendigen digitalen Fähigkeiten mitbringen, wird nicht ausreichen. Es muss auch darum gehen, die Mitarbeiter*innen zu entlasten und neue Freiräume zu schaffen. Hierfür müssen bestehende Arbeitsabläufe und Aufgaben hinterfragt werden. Zudem ist Digitalisierung am Ende des Tages auch kein Selbstzweck. Neue digitale Möglichkeiten können an vielen Stellen unterstützen. Aber letztlich geht es auch um Themen wie Mitarbeiterzufriedenheit, eine gute Work-Life-Balance und eine Führungskultur, die unsere Mitarbeiter*innen weiterentwickelt, motiviert und für die richtigen und wichtigen Aufgaben orientiert. Das geht weit über das Thema Digitalisierung hinaus, denn die gesamtgesellschaftliche digital-kulturelle Transformation macht nicht vor der Aschaffenburger Rathaustür Halt.

Was wollen Sie tun, damit die Transformation der Verwaltung gelingt?

Um Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung, aber auch den Fachkräftemangel zu finden, hat die Stadtverwaltung im Januar 2022 einen Organisationsentwicklungsprozess gestartet. Im ersten Schritt analysieren wir mit den Mitarbeiter*innen gemeinsam alle Bereiche und Handlungsfelder der Verwaltung auf Optimierungspotenziale. In dieser Phase werden wir von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) unterstützt, die in allen Referaten eine Organisationsuntersuchung durchführt. Im Anschluss werden uns Handlungsempfehlungen vorgelegt, die wir dann auswerten. Auf dieser Grundlage gehen wir schließlich gezielt Modernisierungsprojekte an.

Es reicht also nicht, nur Verwaltungsleistungen zu digitalisieren, sondern bedarf einer umfassenden Verwaltungsreform?

Genau, beides hängt fest zusammen. Die digitalen Dienste sind nur der sichtbare Teil.  Denn die Basis einer effizienten digitalen Lösung ist immer ein sinnvoller Prozess. Dessen Potential kann in den vorhandenen Strukturen oft gar nicht genutzt werden. Funktionsbereichsübergreifende digitale Lösungen können deshalb nur gelingen, wenn Projektteams funktions- und hierarchieübergreifend arbeiten und gemeinsam Aufgaben angehen. Das wiederum geht nur dann, wenn es für die neuen digitalen Prozesse klare Verantwortlichkeiten gibt.

Wie schnell kann die Verwaltungsmodernisierung erreicht werden? 

Während der Coronapandemie haben wir gesehen, wie schnell digitaler und kultureller Wandel vonstattengehen kann. Die Krise offenbarte zwar einerseits große Digitalisierungsdefizite, wirkte andererseits aber auch wie ein Digitalisierungsbooster. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Arbeiten auf Distanz. Dort wo die Tätigkeiten und der Grad der Digitalisierung es zulassen, wird seit 2020 verstärkt Homeoffice in einem Ausmaß praktiziert, das vorher kaum möglich schien. Meetings über das Videokonferenztool “Big Blue Button” sind mittlerweile für viele Mitarbeitenden Routine und ermöglicht ihnen das ortsunabhängige Arbeiten. Andere tiefergreifendere Prozesse werden länger brauchen.

Wann werden wir erste Erfolge sehen? 

Als ersten großen Meilenstein in unserem Organisationsentwicklungsprojekt haben wir uns das Jahr 2025 gesetzt. Bis Ende 2025 soll die komplette Analysephase beendet und kurzfristig erreichbare Erfolge, die sogenannten Quick-Wins umgesetzt werden. Längerfristige über 2025 hinausgehende Modernisierungsprojekte sollen bis dahin auch schon in den Startlöchern stehen. Auch die Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen für euch wird weiterhin zügig vorangetrieben. Wir brauchen für die Umgestaltung der Verwaltung viel Ausdauer, die sich aber in jeder Hinsicht auszahlen wird.

Wo führt das alles hin?

Von der Modernisierung der Verwaltung profitieren vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Denn mit einer gut organisierten – und für die Zukunft aufgestellten – Verwaltung bauen wir unseren Service für euch weiter aus. Und das geht nur mit engagierten, motivierten und zufriedenen Beschäftigten.

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